Zwischen Sprudelhof und Trinkkuranlage

Der Jugendstil in Bad Nauheim

In Bad Nauheim entwickelte sich eine eigenständige Ausformung des Jugendstils. Sie griff teilweise auf Vorbilder der Renaissance und des Barock zurück und versah sie mit Schmuckformen des späten Darmstädter Jugendstils. Besonders deutlich wird dies im Sprudelhof von Bad Nauheim.

Dass es in Bad Nauheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Bau eines der größten zusammenhängenden Jugendstilbadeanlagen kam, verdankt die Kurstadt zum einen ihrem kunstsinnigen Landesherrn, dem Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt und zum anderen einem jungen und damals noch völlig unbekannten Architekten: Wilhelm Jost.

Seit dem Jahr des „Weihnachtswunders“ – 1846 – als plötzlich der „Große Sprudel“ aufbrach, hatte sich Bad Nauheim rasch von einem unbekannten “Solbad” zu einem international geschätzten Heilbad entwickelt, das bald aus allen Nähten platzte und dem zunehmenden Ansturm der Kurgäste nicht mehr gewachsen war. Die Badehäuser im Fachwerkstil waren veraltet und zu klein, und sie genügten vor allem nicht mehr den wachsenden Anforderungen eines internationalen Badepublikums, zu dem auch schon damals Kaiser*innen und König*innen zählten.

Neu- oder Ausbauten waren also dringend notwendig geworden. Man entschied sich – aus heutiger Sicht zum Glück – für einen vollständigen Neubau und so entstand zunächst der „Sprudelhof“ von Bad Nauheim mit seinen insgesamt sechs Badehäusern. Die unmittelbare Nähe der Sprudelquellen gewährleistete eine optimale Nutzung der Thermalsole mit ihrer natürlichen Wärme und frei gelösten Kohlensäure.

Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein
Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (1905), gemeinfrei

Großherzog Ernst Ludwig und der Jugendstil

An der Entwicklung des Jugendstils in Deutschland war Hessens Landesherr, Großherzog Ernst Ludwig (1868-1937), maßgeblich beteiligt. Die Gründung der Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe im Jahr 1899 geht auf seine Initiative zurück.

Der Leitspruch Ernst Ludwigs lautete stets: „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst“, und diesen Leitsatz versuchte er vor allem durch die Gründung der Künstlerkolonie in die Tat umzusetzen.
Großherzog Ernst Ludwig war der Ansicht, dass eine enge Verbindung von Kunst und Handwerk zu einer wirtschaftlichen Belebung seines Land führe.
Als Leitziel für die Künstler, die er auf der Mathildenhöhe zusammenführte, strebte er die Entwicklung neuer und zukunftsweisender Bau- und Wohnformen ebenso an wie einen Aufschwung des hessischen Kunsthandwerks.
Die ersten Künstler, die Ernst Ludwig nach Darmstadt berief, waren die Jugendstilkünstler Peter Behrens, Paul Bürck, Rudolf Bosselt, Hans Christiansen, Ludwig Habich, Patriz Huber und vor allem Joseph Maria Olbrich.

Im Jahr 1901 wurde unter dem Titel „Ein Dokument deutscher Kunst“ eine erste Ausstellung auf der Mathildenhöhe ausgerichtet.
Für Bad Nauheim und seine Jugendstilbauten viel entscheidender aber war die Hessische Landesausstellung im Jahr 1908, die ebenfalls auf der Darmstädter Mathildenhöhe stattfand und auf der große Teile von Badehaus 7 gezeigt wurden.

Jost
Wilhelm Jost, Foto: © H.A.M. Hölzinger CC-by SA 4.0

Wilhelm Jost und der Sprudelhof von Bad Nauheim

Als die Regierung des Großherzogtums Hessen den Neubau der Bäderanlagen von Bad Nauheim genehmigte, wurde auch gleich eine eigene Baubehörde geschaffen, um die Arbeiten zu koordinieren. Zum Leiter dieser neuen Baubehörde wurde ein junger Architekt berufen, der sich bis zu diesem Zeitpunkt vor allem durch Restaurierungsarbeiten am Gießener Schloss und den Bau des neuen Bad Nauheimer Inhalatoriums hervorgetan hatte – sein Name: Wilhelm Jost (1874-1944).

Wilhelm Jost stammte aus Darmstadt, wo er auch an der Technischen Hochschule Architektur studiert hatte. Durch Lehrer wie Wickop, Pützer und vor allem Karl Hofmann war er mit modernen Ideen der Architektur in Berührung gekommen.

In Vorbereitung auf die Neubauten in Bad Nauheim schickte ihn das Darmstädter Ministerium gemeinsam mit zwei Referenten und dem Leiter des Bad Nauheimer Tiefbauamts – Carl Eser – im Herbst 1903 auf eine ausgedehnte Studienreise. Aus dieser Reise zog Jost zahlreiche Ideen und Inspirationen, die er in die Planung der Neubauten einfließen ließ. Überhaupt genoss er sowohl bei der Planung als auch bei der Ausführung große künstlerische Freiheit, die er sicher vor allem dem Wohlwollen des kunstsinnigen Großherzogs Ernst Ludwig verdankte.

In Zusammenarbeit mit bedeutenden Künstlern der Darmstädter Künstlerkolonie schuf Wilhelm Jost ein Gesamtkunstwerk von hohem europäischem Rang. Bildhauer wie Heinrich Jobst, Keramiker wie Jakob Julius Scharvogel, Maler wie Friedrich Wilhelm Kleukens und auch der Architekt Albin Müller prägten das Gesicht dieser Jugendstilanlage. Durch die Zusammenarbeit all dieser Künstler und Architekten entstand ein architektonisches Juwel: der Sprudelhof.

Gemeinsam mit den technischen Anlagen am Goldstein und der unweit ebenfalls von Jost erbauten Trinkkuranlage, präsentiert sich hier ein Jugendstil-Ensemble, das sowohl künstlerisch als auch technisch auf der Höhe seiner Zeit war und noch heute in Erstaunen versetzt.

In Badehaus 3 dieses Jugendstilensembles des Sprudelhofs von Bad Nauheim wird das Jugendstilforum untergebracht sein. Neben einer großen Sammlung an Jugendstil-Exponaten aus der Sammlung “1900 modern times” des Kölner Sammlers Manfred Geisler, zeigt es vor allem die Geschichte des Jugendstils in Bad Nauheim und die Geschichte der Badekultur.

Beitragsbild:
Der Sprudelhof von Bad Nauheim
Foto: H. Hölzinger CC-by SA 4.0

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