Christian Neureuther und der „Waechtersbacher Jugendstil“
Er wird der Erfinder des „Waechtersbacher Jugendstils“ genannt – Christian Neureuther: Keramiker und Künstler. Heute vor 100 Jahren – am 18. Januar 1921 – starb er im hessischen Schlierbach.
Bei seiner Geburt am 19. Januar 1868 im hessischen Untersotzbach deutete nichts darauf hin, dass Christian, der Sohn eines Schreinermeisters und Enkel eines Müllers, einmal in die Geschichte des Kunsthandwerks und auch der Kunstgeschichte eingehen würde. Aber manchmal kommen Dinge eben anders als gedacht:
Nach Beendigung der Volksschule trat Christian Neureuther als Schmelzmalerlehrling in die Steingutfabrik Waechtersbach ein und absolvierte dort eine vierjährige Lehre. Offenbar war man dort sehr zufrieden mit ihm und seiner Arbeit, entdeckte sein Talent und beschloss ihn weiter zu fördern.
Von 1886 bis 1887 wurde er nach Lichte in Thüringen in die Zeichen-, Mal- und Modellierschule zu Lorenz Hutschenreuther geschickt. Es war der Besitzer von Waechtersbach selbst – Fürst Ferdinand Maximilian zu Ysenburg, der dies veranlasste und für die Kosten der zusätzlichen Ausbildung kam die Firma auf.
So sah es auch fünf Jahre später aus, als Christian Neureuther in den Jahren 1892 und 1893 eine weitere Zusatzausbildung an der Königlichen Kunstgewerbeschule in München absolvierte, die er mit sehr guten Zeugnissen abschloss.
Inhaltsverzeichnis
Die Keramikfabrik Waechtersbach auf dem Weg zum Jugendstil
Gegründet worden war die Steingutfabrik Waechtersbach im Jahr 1832. Drei Jahre zuvor hatte man im Ysenburg-Waechtersbachschen Forst weißen Ton gefunden und Graf Adolf zu Ysenburg beschloss dieses Grundmaterial in einer eigenen Firma zu verarbeiten. Die Fabrik entwickelte sich gut und wurde weiter ausgebaut, beispielsweise mit einer eigenen Zierformerei. Die günstige Entwicklung lag wohl auch an der Innovationsfreude des Unternehmens, das 1897 den weltweit ersten Unterglasur-Buntdruck entwickelte. Max Roesler hieß der Mann, der dies möglich gemacht hatte.
1874 kam der im Jahr 1840 in Regensburg geborene Max Roesler als technischer und kaufmännischer Leiter zur Waechtersbacher Steingutfabrik. Bereits im Jahr 1878 avancierte er hier zum Direktor und begann Innovationen und zukunftsweisende Techniken zu fördern. So erlebte die Steingutfabrik Waechtersbach durch ihn einen großen Aufschwung.
Aber nicht nur im technischen und unternehmerischen Bereich sorgte Roesler für Neuerungen. Er setzte sich auch für die sozialen Belange seiner Mitarbeiter ein. So gründete er beispielsweise 1877 eine Fabriksparkasse mit deren Hilfe es den Arbeitern von Waechtersbach ermöglicht werden sollte eigene Häuser zu erwerben. Außerdem richtete er eine Handarbeitsschule für junge Mädchen ein, ebenso wie einen Arbeitermusikverein, ein Ältestenkollegium, das sich um Disziplinarangelegenheiten kümmerte und schließlich noch eine eigene Betriebszeitung, den „Schlierbacher Fabrikboten“. 1890 verließ Roesler nach einem Streit mit dem damaligen Besitzer – Bruno zu Ysenburg und Büdingen – die Firma Waechtersbach und wechselte zu den Springerschen Porzellanfabriken nach Elbogen (Böhmen).
Wenige Jahre nach dem Weggang Max Roeslers war es dann Christian Neureuther, der die Weichen des Unternehmens Richtung Jugendstil stellte.
Christian Neureuther – Jugendstil und Darmstädter Künstlerkolonie
Bereits direkt nach seiner Ausbildung an der Zeichen-, Mal- und Modellierschule in Lichte begann Christian Neureuther eigene Entwürfe zu zeichnen. Es war eine Phase der Selbstfindung, die er hier durchlebte und so sind diese Entwürfe ausgesprochen vielfältig.
Seit dem Jahr 1897 sind erste Entwürfe von Neureuther bekannt, die eindeutig dem Jugendstil zuzuordnen sind. Offenbar wurden seine Entwürfe nach wenigen Jahren auch von seinem Arbeitgeber, der Keramikfabrik Waechtersbach honoriert und umgesetzt. Erste Produkte, die offenbar seine Handschrift tragen finden sich seit dem Jahr 1899. Es sind vor allem florale Motive wie Löwenzahn, Iris und Tulpen, die umgesetzt wurden und die noch lange produziert wurden.
In dieser Zeit entstand auch ein Kontakt, der die weitere Entwicklung von Christian Neureuther und Waechtersbach stark prägen sollte und zwar der zur 1899 gegründeten Darmstädter Künstlerkolonie. Im Prospekt zur Ausstellung „Christian Neureuther – Der Erfinder des Waechtersbacher Jugendstils – zum 150. Geburtstag“ steht zu lesen, dass Neureuther durch diesen Kontakt inspiriert „eine vollkommen neuartige Formensprache, die als „Waechtersbacher Jugendstil“ in die Kunstgeschichte einging“ erfand. Es waren vor allem Joseph Maria Olbrich und Hans Christiansen, die hier prägend wirkten. In späteren Jahren arbeitete Neureuther auch mit Paul Haustein zusammen und ab 1906 mit Albin Müller, der seine Spuren auch in den Bad Nauheimer Badehäusern hinterließ.
Aber nicht nur der Darmstädter Jugendstil fand seinen Niederschlag bei Waechtersbach und in Christian Neureuthers Atelier. Auch Koloman Moser und der Stil der Wiener Werkstätten fanden hier Eingang.
Das „Keramische Atelier Wächtersbach Christian Neureuther“
Der neue Stil hielt bei Waechtersbach endgültig am 1. April 1901 Einzug als Neureuther das „Keramische Atelier Wächtersbach Christian Neureuther“ gründete. Seit diesem Zeitpunkt sind seine keramischen Arbeiten deutlich zu erkennen. Sie alle tragen das Wappenschild der Ysenburger und die Buchstaben K.A.W.C.N. als Kürzel für das neu gegründete „Keramische Atelier Waechtersbach Christian Neureuther“.
Dieses, dann seit 1903 als selbständige Abteilung für Kunstkeramik innerhalb der Waechtersbacher Steingutfabrik arbeitende Atelier, war der wohl wesentliche Faktor für den weiteren Aufstieg der inzwischen beinahe 70 Jahre alten Steingutfabrik, die nun auch namhafte Konkurrenten hinter sich lassen konnte.
Hochwertige Keramiken mit ausgefallenen und eigenen Motiven waren die Spezialität Neureuthers. Es waren Vasen und Wandteller, Serviertafeln und Blumenschalen, die hier vor allem gefertigt wurden. Figürliche Arbeiten wurden erst in den 1910er Jahren in die Produktpalette aufgenommen.
Ein immer wiederkehrendes Dekor ist ein Spiral-Ornament. Aber auch Efeublätter finden sich in den Keramiken Neureuthers immer wieder.
Für seine Entwürfe erhielt Christian Neureuther ab dieser Zeit reiche Anerkennung und auch zahlreiche Auszeichnungen, wie etwa eine Goldmedaille auf der Louisiana Purchase Exposition, einer Weltausstellung in St. Louis im Jahr 1904 oder auch die Goldene Staatsmedaille in Kassel 1905.
– Sammlung Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim
Foto: M. Geisler, CC-by SA 4.0
„Waechtersbacher Jugendstil“, Christian Neureuther und das Nachleben
Als Christian Neureuther im Jahr 1921 starb, hatte er seine ganz eigenen Formen geprägt. Sein „Waechtersbacher Jugendstil“ war weltweit bekannt geworden. Er wurde hoch geschätzt und das bis heute. Eduard Schweitzer führte das Atelier Neureuthers noch acht Jahre fort. Die von Neureuther geprägte Produktmarke blieb auch in dieser Zeit erhalten, ebenso wie die Dekore, die der Meister geschaffen hatte.
Die Kunstabteilung der Firma Waechtersbach aber wurde 1923 für immer geschlossen. Zu eng war sie wohl mit der Person und den Ideen Christian Neureuthers verbunden gewesen.
Als Keramiker und Mitglied des „Deutschen Werkbundes“ hat sich Christian Neureuther einen Namen gemacht, der bis heute nicht nur in Fachkreisen nachlebt.
Auch in der Sammlung Geisler hier im Jugendstilforum gibt es zahlreiche Arbeiten aus der Werkstatt Christian Neureuthers. Sie werden insbesondere in der Ausstellung „Jugendstilkeramik – Tendenzen einer neuen Zeit“ ab Frühjahr 2021 zu sehen sein.
– Sammlung Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim
Foto: M. Geisler, CC-by SA 4.0
Beitragsbild:
Tablett aus dem Keramischen Atelier Wächtersbach Christian Neureuther
Foto: M. Geisler, CC-by SA 4.0
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