Jugendstil-Fliesen

Wer hat gesagt, dass praktische Dinge nicht auch schön sein können? – In der Zeit des Jugendstils sicherlich niemand, denn hier galt das Ziel das ganze Leben zu verschönern und nach ästhetischen Maßstäben auszurichten. Das bezog sich eben auch auf ganz alltägliche Dinge wie Fliesen. Genau genommen gibt es wohl keine anderen kunsthandwerklichen Produkte, die eine solche Vielfalt an den Tag legen wie Jugendstil-Fliesen.
Eine ungeheure Bautätigkeit und ein neues Hygienebewusstsein führten dazu, dass in immer mehr Häusern Badezimmer eingebaut wurden und deren Wände mussten verkleidet werden. Dies war am effizientesten mit Fliesen zu lösen. Aber Fliesen fanden sich nicht nur an den Wänden, sondern auch auf den Böden. Neben den Badezimmern wurden auch zunehmend Küchen, Flure, Eingangshallen und einzelne Bereiche ganzer Geschäfte mit Fliesen und Kacheln ausgestattet. Darüber hinaus wurde es auch Mode Fassaden mit Fliesen zu gestalten.
Die Techniken, die bei der Gestaltung der Jugendstil-Fliesen und Kacheln am häufigsten zum Einsatz kamen, waren die Fadenrelief-Technik und die Fadenschlicker-Technik. Bei beiden Techniken bilden Fäden die Dekorumrisse und die farbige Glasur wurde dazwischen eingefüllt. Die Fäden führten dazu, dass die Farben nicht ineinander verlaufen konnten.
Jugendstil-Fliesen gibt es in unendlich vielen Varianten mit unendlich vielen Dekoren. Sie umfassen die gesamte Bandbreite des Stils von floral bis hin zu geometrisch. Gefertigt wurden sie in beinah ganz Europa, wobei Deutschland das wohl wichtigste Zentrum der Herstellung von Jugendstilfliesen war.


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Künstler

Zahlreiche namhafte Jugendstilkünstler und Kunsthandwerker haben sich auch mit der Gestaltung von Fliesen und Kacheln beschäftigt und für verschiedene Manufakturen und Firmen Vorlagen für Jugendstil-Fliesen entworfen. Manche von ihnen, wie etwa Peter Behrens, Max Laeuger oder Henry van de Velde arbeiteten mit verschiedenen Firmen zusammen, andere wiederum, wie etwa Carl Sigmund Luber oder auch Jakob Julius Scharvogel waren bei einer Fabrik angestellt oder leiteten eine eigene Abteilung und entwarfen und fertigten nahezu ausschließlich dort.
Insgesamt sind aus der Zeit des Jugendstils über 10.000 verschiedene Fliesenvariationen bekannt. Eine ungeheure Fülle also, aus der wir eine kleine aber durchaus repräsentative Auswahl zeigen. Die ausgewählten Fliesen stammen aus ganz unterschiedlichen Manufakturen und von vielen namhaften Künstlern. Gefertigt wurden sie alle im deutschsprachigen Bereich.

Peter Behrens über den Stil einer Zeit mit Bild von Fliesen

Otto Eckmann

Bekannt ist der 1865 geborene Otto Eckmann weniger für seine Keramik, sondern primär als Maler, Grafiker und vor allem als Typograph. Dennoch gibt es zahlreiche Jugendstil-Fliesen, die von Otto Eckmann gestaltet wurden.
Nach einer kaufmännischen Lehre studierte Eckmann an der Kunstgewerbeschule Nürnberg und an der Akademie der bildenden Künste in München. Bis ins Jahre 1894 war er als freischaffender Maler tätig. Die Bilder jener Jahre sind im Stil der Präraffaeliten gehalten. Nach dieser Zeit wandte sich Eckmann zunehmend dem Jugendstil, der Landschaftsmalerei und dem Kunsthandwerk, sowie der Typographie zu. Seine Jugendstilwelt war floral und naturalistisch.
Otto Eckmann war auch für verschiedene Firmen und Zeitschriften tätig, so entwarf er Sammelbilder für die Firma Stollwerk, Titelblätter und Ornamente für die Zeitschriften „Pan“ und „Jugend“ und das Signet des S. Fischer Verlags. Berühmt wurde Eckmann aber vor allem durch die von ihm geschaffene und nach ihm benannte Eckmann-Schrifttype, die bis heute die meistgenutzte Jugendstilschrift ist.
Neben all diesen Tätigkeiten fertigte Otto Eckmann auch zahlreiche Vorlagen für Fliesendekore.
Gestorben ist er am 11. Juni 1902 in Badenweiler.

Jugendstil-Fliesen – Manufakturen

Vor allem in Deutschland gab es zahlreiche große und kleine Fabriken und Manufakturen, die Fliesen und Kacheln fertigten. Einige von ihnen, wie etwa Villeroy & Boch sind bis heute bekannt und auch noch im Bereich Keramik tätig, andere wiederum sind inzwischen geschlossen und nur noch Liebhabern und Sammlern von Jugendstilkeramik bzw. Jugendstil-Fliesen bekannt.

Porzellan- und Steingutfabrik Ludwig Wessel

  • 1755 Gründung der „Poppelsdorfer Faience Fabrique“ durch Kurfürst Clemens August (1700-1761), da die Herstellung von Porzellan nicht gelang beschränkte man sich zunächst auf Steingut und Fayencen
  • 1823 Ludwig Wessel übernimmt die Manufaktur; Umbenennung in „Porzellan- und Steingutfabrik Ludwig Wessel“
  • 1830 Inbetriebnahme der ersten Dampfmaschine des Betriebs
  • 1889/90 an die Eisenbahnlinie angeschlossen: Wesselbahn
  • 1896 Ausgliederung der  „Wessels Wandplattenfabrik AG, Bonn“, diese Firmenbereich wurde 1914 eigenständig und 1982 geschlossen
  • 1926 Großbrand auf dem Werksgelände, daraufhin Übernahme durch Sanitärkeramik-Hersteller Friedrich Butzke, Berlin
  • nach 1945 umbenannt in „Wessel Keramische Werke AG“
  • 1969 Schließung
Blumenkasten mit Fliesen der Steingutfabrik Ludwig Wessel
Blumenkasten aus Fliesen
Foto: M. Geisler, CC-by SA 4.0
Fliese der Firma Wessel
Fliese der Firma Wessel
Foto: M. Geisler, CC-by SA 4.0
Fliese der Firma NSTG Grohn
Fliesen der Firma NSTG Grohn
Fotos: M. Geisler, CC-by SA 4.0

NSTG Grohn

  • 1869 Gründung der „Actiengesellschaft Norddeutsche Steingutfabrik“ durch Bremer Kaufleute, Ziel war die Herstellung von feinkeramischem Haushaltsgeschirr
  • 1871 vollständige Aufnahme der Produktion
  • ab 1879 erhebliche wirtschaftliche Probleme durch Preissenkungen und englische Konkurrenzware
  • 1886 Umstellung der Produktion auf Leichtsteingut zum Export
  • ab 1889 zunehmend Herstellung von Wandfliesen im Nasspressverfahren
  • 1891 Umstellung auf Trockenpressverfahren für Fliesen, dadurch leichtere Ware und erhöhter Absatz
  • 1904 Silbermedaille auf der Weltausstellung in St. Louis
  • 1906 Gründung der „Grohner Wandplattenfabrik“
  • 1907 eigener Eisenbahnanschluss
  • 1920 Übergang der „Grohner Wandplattenfabrik“ an die „Actiengesellschaft Norddeutsche Steingutfabrik“
  • 1930 neue Ofenanlage geht in Betrieb
  • 1932 Stilllegung dieses Werks
  • 1933 wirtschaftlicher Aufschwung, der durch den 2. Weltkrieg gebrochen wurde
  • 1948 erneute Herstellung von Wandfliesen bzw. Bodenfliesen
  • 1957 Vereinigung der Teilfirmen
  • 1980er Jahre vollständige Umstellung der Produktion
  • 2001 Übernahme durch die Steuler Fliesengruppe
  • 2014 Einstellung der Produktion am Standort Grohn

Servais Trier Ehrang

  • 1877 Gründung der Firma „Lamberty Servais & Cie, Ehrang“ (bei Trier), hergestellt wurden Flurplatten, Trottoirsteine, Röhren und feuerfestes Material
  • 1885/6 Jean-Pierre Lanser wird als Keramikmaler eingestellt
  • 1889 Gründung der „Tonwerke Witterschlick, Servais & Co“ bei Bonn auf dem Gelände der „Porzellan- und Steingutfabrik Ludwig Wessel“
  • 1893 Patent für eine neue Herstellungstechnik für Trottoir- und Fußbodenplatten und Zusammenarbeit mit den „Vereinigten Thonwerken Preschen“
  • 1896 Gründung der „Société Anonyme des Carreaux Céramiques à Varsovie (Belgien) durch Lamberty, Servais und Co.
  • 1897 Gründung der „Fabrique de carrelages V. Decker Mouraux & Cie Fouge près Toul
  • 1898 Herstellung von glasierten Wandfliesen
  • 1902 Patent für eine neuartige Fliese und Gründung der „Vereinigten Servais-Werke A.G. Ehrang“
  • 1921 Verlegung des Firmensitzes nach Trier
  • 1993 Schließung des Ehranger Werks
Fliese der Firma Servais aus Trier Ehrang
Fliese der Firma Servais Trier Ehrang
Fliesen der Firma Servais
Fotos: M. Geisler, CC-by SA 4.0

Teichert Werke Meißen

Carl Teichert Meißen

  • 1857 Johann Friedrich Carl Teichert (1830-1871), selbständiger Töpfermeister in Meißen beginnt mit der Fertigung neuartiger Ofenkacheln nach dem patentierten Verfahren von Gottfried Heinrich Melzers (1820-1867)
  • 1863 Errichtung neuer Fabrikhallen der Firma „Carl Teichert Meißen“
  • 1872 Gründung der Aktiengesellschaft „Meißner Ofen- und Chamottewaaren-Fabrik vormals Carl Teichert“
  • 1879 Beginn der Porzellanfabrikation und Umbenennung der Firma in „Meißner Ofen- und Porzellanfabrik vorm. C. Teichert“
  • 1891 Beginn der Herstellung von Wandplatten
  • 1912 Beginn der Herstellung von Baukeramik
  • 1915 Produktion der patentierten „Neumarkt-Kachel“
  • 1919 Beginn der vollen Produktion von Wandplatten in neuem Gebäude
  • 1930 Einstellung der Porzellanherstellung, Verkauf der Modelle an die Porzellanfabrik Lorenz Hutschenreuther in Selb
  • 1942 zweiterfolgreichstes Keramikunternehmen in Deutschland nach Villeroy & Boch
  • nach 1945 Enteignung der Firma

Ernst Teichert Meißen – SOMAG

  • (Sächsische Ofen- und Wandplattenfabrik vorm E. Teichert)
  • bis 1868 Ernst Teichert arbeitet in der Firma seines Bruders Carl
  • 1869 Gründung der Kachelofenfabrik Ernst Teichert
  • 1872 Gründung der Aktiengesellschaft Sächsische Ofen- und Chamottewaaren-Fabrik vorm. E. Teichert
  • 1873 Ernst Teichert scheidet als Technischer Direktor aus der Firma aus
  • 1884 Gründung der Porzellanfabrik „Ernst Teichert, Cölln-Meißen“
  • 1886 nach dem Tod von Ernst Teichert stellt sein Sohn Christian die Produktion auf Ofenkacheln um
  • 1901 Umwandlung der Firma in „Ernst Teichert GmbH“
  • 1904 eigene Fliesen-Abteilung
  • 1905 Ausbau der Wandplattenfertigung
  • 1906 Umbenennung in „SOMAG“
  • 1913 Baukeramikproduktion
  • 1923 Verkauf an die „Meißner Ofen- und Porzellanfabrik vorm. Carl Teichert“
  • 1925 Spezialisierung auf Baukeramik und Einstellung der Porzellanherstellung und Verkauf der Formen und Modelle an die Firma Hutschenreuther, Selb
  • 1939 Herstellung transportabler Kachelöfen
  • nach 1945 Enteignung der Firma
Zitat Joseph Maria Olbrich über die Schaffung von Kunstwerken

Cölln-Meissner Ofen-Fabrik Saxonia GmbH Meißen

  • 1888 Gründung der „Ofenfabrik und Kunstziegelei Cölln-Meißen“
  • 1893 Umbenennung in „Cölln-Meißner Ofen-Fabrik Saxonia“
  • 1895 Umbenennung in „Cölln-Meißner Ofenfabrik Saxonia GmbH“
  • 1929 Zusammenschluss mit der Firma „Meißner Ofen- und Porzellanfabrik vorm. Carl Teichert“ und Umbenennung in „Meißner Wandplattenwerke Saxonia GmbH“
  • Herstellung von Ziegeln, Kaminen, Wandfliesen, Baukeramik etc.
  • 1931-34 Stilllegung des Betriebes
  • nach 1945 Enteignung des Betriebes

Teichert-Werke

  • 1930 Zusammenschluss „Meißner Ofen- und Porzellanfabrik vorm. Carl Teichert“, „Ernst Teichert GmbH“ und „Ofen- und Wandplattenwerk Saxonia“ ohne die Firma SOMAG, sie blieb selbständig.