Stilwende 2.0 – Glaskunst
Im Bereich der angewandten Künste ist wohl in keiner anderen Materialgruppe eine solch große Bandbreite in der künstlerischen Gestaltung möglich wie in der Glaskunst. Gerade in den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts präsentiert sie sich besonders komplex und vielschichtig. Dies zeigt sich in den verschiedenen Herstellungsverfahren, den Glastypen und den Oberflächengestaltungen.
In den 1920er und 1930er Jahren reicht die Spannbreite vom puristisch-transparenten Klar-und Farbglas bis zu farbig-opaken Gläsern, die meist undekoriert besonders formbetont gestaltet sind, und solchen, die aus ein- oder mehrschichtigen Farbüberfängen (Kameoglas) bestehen. Aus ihnen wurden durch Schnitt, Säureätzung und Gravur die Oberflächen dekoriert. In der Herstellung wurden diese frei geformt oder in angefertigten Formen bei Temperaturen von über 600° C eingeblasen. Je höher die Temperatur, desto formbarer und flüssiger gelingt der Glasschmelz.
Ein weiteres Verfahren, das seit dem 19. Jahrhundert bekannt war, ist die Pressglasherstellung. Ursprünglich für eine rationelle und preiswerte Massenproduktion des einfachen Gebrauchsglases entwickelt, erlangte es insbesondere in der französichen Art Déco Epoche eine hohe Bedeutung und Verbreitung, nun in der Kunstglasproduktion.
Überhaupt nahm Frankreich auf diesem Gebiet in den Zwischenkriegsjahren eine Vorrangstellung ein. In der Kameo-Glasherstellung waren die Manufakturen Daum, die Établissements Gallé, Muller Frères und der 1920 gegründete Betrieb von André Delatte in der Region Nancy sowie die Verreries Schneider und Legras im Großraum Paris, herausragend.
Bei den mit Pressglas arbeitenden Betrieben sind an erster Stelle Lalique und Sabino zu nennen, gefolgt von Etling, Verlys und insbesondere im Beleuchtungssektor die Glashütte Degue von David Guéron sowie die der Gebrüder Muller in Lunéville.
Im östlichen Mitteleuropa spielten vor allem die böhmischen Glashütten und Veredelungsbetriebe eine bedeutende Rolle. Die südböhmische Manufaktur Loetz Wwe. konnte zwar in der Gesamtheit nicht an das herausragende Niveau der Jahrhundertwende anknüpfen, zählte jedoch zusammen mit der nordböhmischen Firma Ludwig Moser & Söhne weiterhin zu den wichtigen Betrieben.
Die langanhaltende Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, ausgelöst vom New Yorker Börsencrash Ende 1929, überlebten viele der einst auch künstlerisch erfolgreichen Betriebe nicht.