Art Nouveau – École de Nancy

Im Jahr 1901, 30 Jahre nachdem Teile Lothringen im Deutsch-Französischen Krieg von Deutschland besetzt worden waren, gründete sich im bei Frankreich verbliebenen Nancy ein Zusammenschluss führender Künstler:innen des Art Nouveau, genannt die École de Nancy. Sie basierte auf einer Künstlergemeinschaft, die sich bereits um 1894 gebildet hatte und die auf der Weltausstellung in Paris ihre ersten großen Erfolge feierte. Zu den führenden Personen gehörten zu diesem Zeitpunkt Antonin Daum und Louis Majorelle. Die Gründungsinitiative ging am 11. Januar 1911 von einem offenen Brief aus, den Émile Gallé in der Zeitung L’Étoile de l’Est veröffentlichte. Er rief zu einem Zusammenschluss zur Förderung der Kunstindustrie auf, um den Rückstand gegenüber der deutschen Konkurrenz aufzuholen. Zu den Gründungsmitgliedern der École de Nancy gehörten neben ihrem ersten Präsidenten Émile Gallé auch Auguste und Antonin Daum, René Lalique und Gabriel Argy-Rousseau.
In der am 13. Februar 1901 gegründeten École arbeiteten Künstler:innen eng mit Industriellen und Kaufleuten zusammen, ähnlich wie es auch im britischen Arts-and-Crafts-Movement oder in verschiedenen deutschen Künstlerkolonien der Fall war. Und ähnlich wie dort war es auch hier die Absicht alle Bereiche des menschlichen Lebens künstlerisch zu durchdringen und zu verschönern.
Ihre Formen- und Farbensprache entnahmen die Künstler:innen vor allem der lothringischen Natur. Besonders beliebte Motive waren daher Disteln, aber auch Libellen und Ginkgoblätter. In der Formensprache lehnten sich die Künstler:innen der École vor allem an die Gotik und das Rokoko an.
Lothringen, speziell Nancy bot sich als Standort aus mehreren Gründen an: zum einen gab es hier besonders viel Industrie, vor allem Metallindustrie und zum anderen waren viele französische Künstler:innen aus dem deutsch besetzten Teil Lothringens hierhergekommen.
Neben der Metallindustrie gab es in Lothringen auch zahlreiche weitere Industrie- und Handwerkszweige, wie etwa Fayencemanufakturen, Glasbläsereien und Kunsttischlereien. Dies machte eine industrielle, genauer gesagt eine serielle Produktion zahlreicher Produkte möglich.
Die École machte es sich zur Aufgabe durch Wettbewerbe Nachwuchskünstler:innen zu fördern. Besonders aktiv war man in den Bereichen Glas, Metall, Goldschmiede und Stickerei.
Letztlich war die École de Nancy einer der kurzlebigsten Künstlerbünde. Nach dem Tod von Émile Gallé im September 1904 ging die Leitung an Victor Prouvé. Unter seiner Leitung wurde 1909 eine letzte große Ausstellung organisiert zu der 2 Millionen Besucher:innen kamen. Der Ausbruch des 1. Weltkriegs ließ die École endgültig untergehen.

Die Künstler und Manufakturen der École de Nancy

Émile Gallé

Émile Gallé Selbstporträt
Émile Gallé Selbstporträt
Émile Gallé

Der 1846 in Nancy geborene Kunsthandwerker Émile Gallé beschäftigte sich vor allem mit den Werkstoffe Keramik, Glas und Holz. Bereits in der Werkstatt seines Vaters lernte er die Werkstoffe Glas und Keramik kennen, aber er ging zunächst nach Deutschland, um dort Philosophie, Zoologie, Botanik und Mineralogie zu studieren.
Zwischen 1862 und 1866 lernte er in Weimar und Meisenthal das Modellieren und die Glasherstellung, ging dann nach London und Paris bevor er nach Nancy zurückkehrte.
Nun begann er mit neuen Techniken im Bereich der Glasbläserei zu experimentieren und übernahm 1874 die Leitung des väterlichen Betriebs. Bis 1883 richtete er weitere Werkstätten für die Fayencen und Möbelherstellung ein.
Zwei Jahre später ging Gallé nach Berlin, um sich dort im Kunstgewerbemuseum intensiv mit der chinesischen Glaskunst zu beschäftigen.
Émile Gallé war derart erfolgreich, dass er 1899 bereits über 300 Angestellte hatte und über Verkaufsstellen in Paris, Frankfurt und London verfügte. Sein Interesse verlegte sich zunehmend auf den Werkstoff Glas.
1901 gehörte Gallé zu den Gründern der École de Nancy. Er starb am 23. September 1904 in Nancy.

gläserner Deckel einer Dose von Galle mit Landschaftsmotiv
gläserner Deckel einer Dose von Galle mit Landschaftsmotiv
Foto: Sammlung „1900 modern times“ Manfred Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

Daum Frères

Jean Daum
Jean Daum
Daum Frères

Der Notar Jean Daum (1825-1885) hatte 1878 aus der Not heraus die Glashütte Sainte-Cathérine de Nancy übernommen, die einfaches Gebrauchsglas herstellte. Ab 1879 traten seine Söhne Auguste (1853-1909) und Jean-Antonin (1864-1930) in den Betrieb ein. Um 1890 richtete man als Reaktion auf die Pariser Weltausstellung von 1889 ein Kunstatelier ein.
Sukzessive verlagerte sich der Stil der hergestellten Objekte von historistischen Formen hin zu floralen. Stück für Stück gelang es auch eine Riege exzellenter Entwerfer heranzuziehen, wie z.B. Jacques Gruber, Amalric Walter, Henri Bergé, Ernste Bussière oder Charles Schneider.
Auch produktionstechnisch war man zu dieser Zeit bei Daum sehr innovativ und entwickelte immer neue Techniken. Peu à peu konnte man so zu einer echten Konkurrenz für die bis dato vorherrschende Firma von Émile Gallé werden.
Nach dem 1. Weltkrieg trat eine Veränderung in der Stilistik der Daum-Gläser ein: Die floralen Motive verschwanden und die Gläser erhielten Goldfolieneinschlüsse und Eisenmontierungen. Der wichtigste Entwerfer solcher Stücke war Louis Majorelle. Er war es, der die Art déco-Ära bei Daum einläutete.

Duftschale der Firma Daum Frères
Duftschale der Firma Daum Frères
Foto: Sammlung „1900 modern times“ Manfred Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

Louis Majorelle

Louis Majorelle
Louis Majorelle
Louis Majorelle

Der französische Möbeldesigner Louis Majorelle wurde 1859 in Toul geboren. Schon sein Vater war Möbeldesigner gewesen, der 1861 von Toul nach Nancy umzog. Zunächst studierte Majorelle ab 1877 an der École des Beaux-Arts in Paris, brach sein Studium jedoch nach dem Tod des Vaters ab und übernahm dessen Firma.
Majorelle gehörte zu den Gründungsmitgliedern der École de Nancy und war einer der herausragendsten Möbeldesigner der Art Nouveau. Er starb 1926 in Nancy.

Gelb-rote Vase in Metallmontur - Daum Frères, Entwurf Louis Majorelle
Gelb-rote Vase in Metallmontur – Daum Frères, Entwurf Louis Majorelle
Foto: Sammlung „1900 modern times“ Manfred Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

Henri Bergé

Henri Bergé

Der französische Illustrator Henri Bergé wurde 1870 in Diarville geboren. 1897 kam er als zur Manufaktur Daum, wo er zum Chefdekorateur aufstieg und auch Almaric Walter kennenlernte.
Neben seiner Tätigkeit für Daum betätigte er sich auch als Illustrator. Er starb 1937 in Nancy.

Amalric Walter

Amalric Walter

Der 1870 in Sèvres geborene Amalric Walter arbeitete als Keramiker und Glasmacher. Bereits sein Vater und sein Großvater hatten in Sèvres in der Porzellanproduktion gearbeitet. 1885 begann Amalric mit seiner Ausbildung an der Manufacture nationale de Sèvres, ging dann zum Militär und kehrte als Dekorateur nach Sèvres zurück. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, so z.B. auf der Weltausstellung 1900 in Paris.
Gemeinsam mit Gabriel Lévy experimentierte er an der zusammensetzung von Pâte de verre, einer speziellen Glaspaste. Die ersten Ergebnisse wurden 1903 der Öffentlichkeit auf einer Ausstellung präsentiert. Antonin Daum war so begeistert, dass ihnen anbot in seiner Manufaktur zu arbeiten. Die drei Künstler schlossen 1903 einen Vertrag auf zehn Jahre für eine Zusammenarbeit, die 1904 begann. Levy zog sich noch im gleichen Jahr aus dem Projekt zurück, wohingegen Amalric Walter in Nancy blieb und sich mit Henri Bergé anfreundete. Gemeinsam entwarfen die beiden über 100 Modelle mit den leuchtenden Farben der Pâte de verre-Technik.
Walters Arbeiten blieben weiterhin erfolgreich und er gewann auf weiteren Ausstellungen Preise, auch für seine Glasmalereien.
Bei Daum blieb er bis die Manufaktur 1914 bei Kriegsbeginn geschlossen werden musste. Nach dem 1. Weltkrieg machte er sich in Nancy selbständig, dennoch blieb er mit Daum und vor allem mit Bergé in engem Kontakt. Letzterer lieferte ihm auch weiterhin Modelle. Seine Produkte wurden unter anderem von Arthur Goldscheider vertrieben.
Die Weltwirtschaftkrise der 1920er Jahre führte zum Niedergang seiner Firma. Er schloss sie endgültig im Jahr 1935. Während des 2. Weltkriegs verließ Amalric Walter Nancy und ging in die Dordogne. 1945 kehrte er zurück. Nachdem er 1954 erblindete verstarb Amalric Walter vollkommen mittellos am 9. November 1959 in Lury-sur-Arnon.

Verreries Schneider

Die Glasmanufaktur der Gebrüder Schneider

Die Brüder Charles (1881-1953) und Ernest (1877-1937) Schneider arbeiteten beide bei Daum und machten sich 1913 in Epinay sur Seine selbständig. Während Charles seit 1903 bei Daum im Verkauf arbeitete, studierte sein Bruder Charles zunächst an der École des Beaux-Arts in Nancy und dann Bildhauerei in Paris und wurde dann von seinem Bruder zu Daum geholt.
In ihrer Firma entwickelten die Brüder einen neuen Stil, der sich durch klare Linien und ebensolche Farben auszeichnet und bereits stark an das Art Déco erinnert. Die Verrieres Schneider war ausgesprochen erfolgreich und beschäftigte 1925 ca. 500 Mitarbeiter:innen. Die Produkte wurden in die ganze Welt verkauft. Die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre jedoch brachte das Unternehmen in eine finanzielle Schieflage, so dass es 1938 insolvent wurde.
Nach dem 2. Weltkrieg begann Charles gemeinsam mit seinen Kindern eine neue Produktion, die bis 1983 bestand.

Gebrüder Schneider (Nancy) Krug mit Schlangenhenkel
Gebrüder Schneider (Nancy) Krug mit Schlangenhenkel
Foto: Sammlung „1900 modern times“ Manfred Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

Keller & Guerin

Keller & Guerin

Die Keramikmanufaktur Keller & Guerin war im lothringischen Lunéville beheimatet. Gegründet worden war sie im Jahr 1723. Hergestellt wurden Keramiken mit Lüsterglasuren und malerischen Motiven.
Ausgehend von der École de Nancy wurden hier Entwürfe von Ernste Bussière, Louis Majorelle und Edmond Lachenal ausgeführt.

Keller & Guerin Vase mit roten Blättern
Keller & Guerin Vase mit roten Blättern
Foto: Sammlung „1900 modern times“ Manfred Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

André Delatte

André Delatte

André Delatte wurde 1887 geboren. Er war Glasmaler, Polsterer und Bankier und gründete 1921 die ‘Les Verreries de l’Est SA’ in Jarville bei Nancy, wo er geätzte Überfanggläser vor allem mit Blumen- und Landschaftsdekoren herstellte. Er starb 1953.

Stichworte und Themen

Art Déco

Art déco steht für art décoratif, also dekorative Kunst. Der Stilbegriff stammt, wie so viele andere aus dem Französischen. Er kam bereits ausgangs des 19. Jahrhunderts auf, hatte seine Hochphase aber erst nach Jugendstil und Art nouveau in den 1920er Jahren.
Anders als Jugendstil und Art Nouveau gibt es beim Art déco weder durchgängige Stilmerkmale noch eine gemeinsame Philosophie, die hinter ihm steht.
Gemeinsam ist dem Art déco lediglich, dass Künstler:innen und Designer:innen versuchten elegante Formen mit kostbaren Materialien, kräftigen Farben und einer gewissen Sinnlichkeit zu vereinen. Vorherrschend sind florale und organische Motive und flächige, stilisierte Darstellungen davon. All dies gab es auch bereits im Jugendstil, so dass es vielfach schwierig ist Art déco und Jugendstil voneinander zu unterscheiden.
Vorreiter des Art déco waren Künstler:innen wie Koloman Moser, Josef Hoffmann und Dagobert Peche.
Seinen Namen erhielt der Art déco erst 1966 durch einen Artikel von Hilary Marvin Gelson in der Times.

Symbolismus

Ausgangs des 19. Jahrhunderts entfaltete sich ausgehend von Frankreich der Symbolismus. Die Strömung, die dem Fin de Siècle, dem Ende eines Jahrhunderts und damit dem Untergang und dem Verfall Ausdruck zu verleihen versuchte, erfasst bald alle Kunstrichtungen. Angefangen von der Literatur bis hin zur bildenden Kunst wurden die Themen düster und die Dekadenz feierte die Sinneslust. Die sinnliche Wahrnehmung trat in den Hintergrund und das Gefühl und der Gedanke eines Augenblicks in den Vordergrund.
Dinge und Situationen wurden idealisiert, Bilder wimmelten von Symbolen, die für etwas standen, das aber gar nicht abgebildet wurde.
Wichtig ist: Der Symbolismus ist kein eigenständiger Stil. Es ist vielmehr so, dass verschiedene Stile sich des Symbolismus bedienten. Insbesondere der Jugendstil arbeitete vielfach mit Symbolen und dem Symbolismus. ein einfaches Beispiel ist die regelmäßige Darstellung der Distel durch die École de Nancy. Hier wurde die Distel eben nicht abgebildet, um ein schönes Naturmotiv dazustellen, sondern die Distel steht für das freie Lothringen, das nicht vom deutschen Kaiserreich besetzt war.

Jean Moréas
Jean Moréas 1910
Jean Moréas 1910

Jean Moéas wurde als Ioannis Papadiamantopoulos 1856 in Athen geboren. Der Dichter war eine der führenden Gestalten des Symbolismus und veröffentlichte 1886 im Figaro sein Manifest Le symbolisme. 1892 wandte er sich jedoch vom Symbolismus ab und der griechisch-romanischen Dichtung zu.

Daum grüne Vase mit Disteln

Die Distel – das Markenzeichen der Art Nouveau Nancy

Die Distel ist die Wappenpflanze von Nancy und steht allgemein als Symbol für Lothringen.
In der Zeit von Art Nouveau war die Distel vor allem das Symbol des “freien” – sprich französischen Lothringens.