Der Jugendstilverein Bad Nauheim – Eine Chronik

Der Beitrag “Der Jugendstilverein Bad Nauheim – Eine Chronik” erschien zunächst in englischer Sprache in „coupDefouet“, der Mitgliederzeitschrift der „Ruta Europea del Modernisme“ (Art Nouveau European Route) mit Sitz in Barcelona, deren Mitglied der Jugendstilverein Bad Nauheim ist.

In den Jahren 1905 bis 1911 entsteht auf Initiative von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein nach dem Abriss veralteter Badehäuser ein zusammenhängender Komplex mit sechs neuen Badehäusern und insgesamt 265 Badezellen sowie vier sogenannten Fürstenbaderäumen. Architekt der Anlage mit den beiden Sprudelbecken als Mittelpunkt ist Wilhelm Jost. Dem Zeitgeschmack entsprechend werden die mit damals hochmoderner Technik ausgestatteten Gebäude im Jugendstil gebaut, der sich insbesondere in der Innenausstattung und den vielen Dekorelementen widerspiegelt. Jahrzehntelang finden hier internationale Gäste aus dem reichen Großbürgertum, dem Adel, dem Hochadel sowie Wirtschaftsmagnaten Linderung ihrer Leiden. Als nach dem 2. Weltkrieg eine Reihe von neuen Kursanatorien mit eigener Therapieabteilung entstehen, geht die Nutzung des Sprudelhofes mehr und mehr zurück, das endgültige Aus kommt mit der Reform des Gesundheitswesen Mitte der 1990er Jahre.

In dieser Zeit schließen sich engagierte Bad Nauheimer Bürger und Bürgerinnen zusammen, um sich gegen den drohenden Verfall oder sogar einen Verkauf dieser größten geschlossenen Jugendstilbadeanlage in Europa einzusetzen. 1998 wird die Initiative unter dem Namen „Jugendstilverein“ ins Handelsregister eingetragen. Ziel des Vereins ist der Erhalt und die Pflege dieses einmaligen Kulturdenkmals, sowie durch Öffentlichkeitsarbeit das Interesse und die Aufmerksamkeit nicht nur lokal sondern auch überregional daran zu wecken und damit um Mitglieder zu werben.

Schmuckhof Badehaus 3 Sprudelhof Bad Nauheim
Der Schmuckhof von Badehaus 3 im Sprudelhof von Bad Nauheim – Foto: H. Hölzinger CC-by SA 4.0

Ein Anfang mit Rosen

Das zunächst noch kleine aber hochmotivierte Team lässt den Worten bald Taten folgen, und eine der ersten Aktionen ist die Anpflanzung von englischen Rosen im Schmuckhof des Badehauses 3 nach historischem Vorbild mit ein paar freiwilligen Helfern. Aus den bescheidenen Anfängen ohne nennenswerte finanzielle Mittel entwickelt sich in wenigen Jahren durch eine sprunghaft ansteigende Mitgliederzahl und zunehmende Einnahmequellen ein tatkräftiger Verein mit heute etwa 400 Mitgliedern, von denen ein Teil ehrenamtlich die vielfältigen Aufgaben übernimmt.

Trotz eines immer noch bescheidenen Budgets kann der Verein 2004 das erste größere Projekt in Angriff nehmen: die Restaurierung des Schmuckhofes und des Brunnens im Badehaus 5. Ein Team aus Mitgliedern reinigt und restauriert die Skulpturen unter fachkundiger Leitung. Es folgt eines der teuersten und umfangreichsten Projekte, die professionelle Reinigung und Restaurierung der Terrakotten im Schmuckhof des Badehauses 7. Finanziert wird es durch Vereinsgelder, private Spenden und Zuschüsse der Stadt Bad Nauheim. Im gleichen Zeitraum wird ein großes Modell des Sprudelhofes, das sich in einem desolaten Zustand befindet, von einem Experten wieder hergestellt.

Bad Nauheim im Réseau Art Nouveau Network (RANN)

Anfang dieses Jahrhunderts macht ein Mitglied den Vorstand auf das Réseau Art Nouveau Network (RANN) aufmerksam, einem Zusammenschluss europäischer Jugendstilstädte, und mit einer anschaulichen und ausgefeilten Präsentation bemüht man sich im Namen der Stadt Bad Nauheim um die Aufnahme in dieses Netzwerk. 2004 kann Bad Nauheim die Aufnahme als Vollmitglied im Réseau Art Nouveau Network feiern, ein großer Erfolg für die Stadt und den Verein, der fortan die Stadt bei den internationalen Versammlungen und anfallenden Arbeiten vertritt.

Kostümgruppe des Jugendstilvereins Bad Nauheim
Kostümgruppe des Jugendstilvereins Bad Nauheim – ein wichtiger Teil der Chronik des Vereins
Foto: H. Hölzinger, CC-by SA 4.0

Jugendstilverein Bad Nauheim – kulturell und sozial engagiert

Neben diesen Tätigkeiten auf internationaler Ebene  engagieren sich die Mitglieder des Vereins auch für eine Reihe von lokalen Aktivitäten. Der Verein muss Gelder sammeln, um seine Ziele verwirklichen zu können. Neben Spenden aus der Bürgerschaft organisiert der Verein rund ums Jahr eigene Veranstaltungen. So betreiben die Mitglieder zum Beispiel während der jährlichen Quellendankfeier eine Weinstube im Badehaus 7. Während des „Tag des offenen Denkmals“ und des Jugendstilfestivals Anfang September füllen die Einnahmen aus einem eigens in einem Badehaus eingerichteten Café mit selbstgebackenem Kuchen die Vereinskasse. Um Aufmerksamkeit für den Verein und seine Ziele zu wecken, flanieren Vereinsmitglieder in historischer Jugendstilkleidung durch den Park und die Stadt, und an einem Buchstand kann man Fachliteratur kaufen. Die Modegruppe hat auch bei mehreren Filmaufnahmen regionaler TV-Sender mitgewirkt und auf diese Weise den Verein werbewirksam vertreten. Um auch Kindern den Sprudelhof und seine Bedeutung nahezubringen, beteiligt sich der Verein an einem von der Stadt initiiertem Projekt, den sogenannten KEKS-Tagen (Kinder erleben Kultur und Sport), die jedes Jahr für alle vierten Klassen veranstaltet werden. Hier stellen Bad Nauheimer Vereine ihre Tätigkeit vor und werben für Mitglieder. Auf dem Christkindlmarkt ist der Verein mit einem eigenen Stand vertreten. Für weitere Einnahmen sorgen Benefizkonzerte mit musikalisch hochqualifizierten Vereinsmitgliedern. All diese Aktivitäten finden auch Beachtung in der Presse und den sozialen Medien und sind damit eine gute Werbung für den Verein und seinen Einsatz für den Sprudelhof. 2008 werden durch Mitglieder Repliken eines Terrakottareliefs aus dem Schmuckhof des Badehaus 7 in limitierter Auflage handgefertigt und verkauft.

Tafel Ruta Europea del Modernisme Lima
Tafel Ruta Europea del Modernisme Lima Foto: Jugendstilverein Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

Jugendstilverein Bad Nauheim – Internationale Arbeit

Drei Jahre nach der Aufnahme Bad Nauheims in das Réseau Art Nouveau Network werden mit der Erweiterung der Europäischen Jugendstilstraße „Art Nouveau European Route „(ANER) auch der Verein und die Stadt  Mitglied dieser Organisation. Damit können sie durch die sozialen Medien der ANER sowie durch das eigene Magazin „coupDefouet“ vorgestellt und bekannt gemacht werden. Seitdem erscheinen regelmäßig Artikel über die Aktivitäten des Vereins in diesem Magazin, das nicht im Handel vertrieben, sondern ausschließlich über die Herausgeber in Barcelona an Mitglieder verschickt wird.

2006 organisiert der Verein anlässlich der Hundertjahrfeier des Sprudelhofs  einige wichtige Veranstaltungen. Als erstes ist er Gastgeber für die Wanderausstellung des RANN „Hundert Jahre Jugendstil in Europa“, in dem die Geschichte des Jugendstilerbes in dreizehn europäischen Städten beleuchtet wurde. Zweitens richtet er ein Symposium zum Jugendstil mit einem beachtlichen Aufgebot an Referenten und Präsentationen anerkannter Experten aus, das von Liebhabern und Liebhaberinnen des Jugendstils aus ganz Europa gut besucht wird. Schließlich erarbeitet er eine Ausstellung mit historischen Fotos mit dem Titel „Bauen für ein neues Leben“, die durch Europa reist. 2007 wird sie im Goetheinstitut in Brüssel und in der norwegischen Stadt Alesund, 2009 in Nancy gezeigt.

2008 ist Bad Nauheim Gastgeber für die Generalversammlung des RANN, eine enorme organisatorische und finanzielle Herausforderung sowohl für den Verein als auch für die Stadt. Trotz aller Hürden wird sie ein voller Erfolg, und noch heute erinnern sich RANN-Mitglieder gern an ihre Erlebnisse in Bad Nauheim. Während dieser Veranstaltung findet im Badehaus 7 die Premiere des Multimedia Videos „Jugendstil und Gesellschaft“ mit namhaften Vertreter*innen der Stadt, dem Land Hessen und Kulturinstituten statt.

Außer den Veranstaltungen mit den vielen freiwilligen Helfern bietet der Verein den Mitgliedern Freizeitaktivitäten wie Ausflüge in andere Jugendstilstädte, den Besuch von Ausstellungen, und einmal im Jahr wird mit einem  Sommerfest allen gedankt, die sich ehrenamtlich einsetzen.

Eingangstür von Badehaus 4 im Bad Nauheimer Sprudelhof
Eingangstür von Badehaus 4 im Bad Nauheimer Sprudelhof – Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Der lange Weg zum Jugendstilforum

2009 geht der Sprudelhof als Eigentum des Landes Hessen in eine Stiftung über. Ein Kuratorium, bestehend zu gleichen Teilen aus Vertreter*innen des Landes, des Kreises und der Stadt entscheidet von nun an über die zukünftige Nutzung der Badehäuser. Damit werden die Aktivitäten des Vereins durch die Abhängigkeit von mehreren Entscheidungsträgern erschwert.

Das Kuratorium steht einem vom Verein geplanten Jugendstilzentrum zunächst positiv gegenüber. Und so bilden Vereinsmitglieder Arbeitskreise bezüglich der Ausstattung, Einrichtung, Finanzierung,  personeller Besetzung usw. und machen sich mit Feuereifer in vielen Arbeitsstunden an die Arbeit, um einen Gesamtplan für ein Jugendstilzentrum im Badehaus 4 zu erstellen. Nach Monaten voller Enthusiasmus   jedoch beschließt das Kuratorium eine andere Nutzung des Badehauses 4 und bietet dem Verein das Badehaus 3 für ein Jugendstilzentrum an. Nach der ersten Enttäuschung werden alle bisherigen Pläne auf das Badehaus 3 umgearbeitet . Eine Museumspädagogin wird engagiert, um eine professionelle Nutzung der vielen Räume zu erarbeiten, ein Konzept, das Ausstellungsbereiche, Werkräume, Versammlungs- und Vorführräume, Multimediaangebote und sogar ein Bistro umfasst. Mit Powerpoint-Präsentationen und Vorträgen von Seiten des Vorstands wird versucht, das Kuratorium, die Kulturbeauftragten und das hessische Immobilienmanagement für das  Jugendstilzentrum zu begeistern. Nach halbherzigen Zusagen entscheiden sich die Verantwortlichen aus finanziellen Gründen für eine stark abgespeckte Version ohne konkrete Pläne vorzustellen. Viel Zeit, Arbeit und Geld sind verschwendet, aber der Verein lässt sich nicht entmutigen und entwickelt neue Ideen, um seine Präsenz zu untermauern.

Plakat der Ausstellung "Art Nouveau - Bad Nauheim & Europa" - Brüssel 2007
Plakat der Ausstellung “Art Nouveau – Bad Nauheim & Europa” – Brüssel 2007

Ausstellungen von Technik bis Geschichte

Nachdem der Vereinsversammlungsraum und das Büro mehrmals verlegt worden sind, bekommt der Verein dauerhafte Räume in einem Flur im Badehaus 3.  Im Lauf der nächsten Jahre werden Ausstellungen mit Jugendstilpostern organisiert: 2013 zum Thema „Technik um 1900“, 2015 „Verführung durch Werbung“ und 2016 „Badekultur von der Antike bis 1900“. Ebenso wird eine Dauerausstellung erarbeitet, die die Entwicklung des Heilbades und die alten Badehäuser zeigt, bevor der Sprudelhof in seiner jetzigen Form gebaut wurde.

Ein großes Ereignis prägt das Jahr 2014, als die Wanderausstellung „Die Natur des Jugendstils“ sechs Wochen lang in Bad Nauheim gezeigt wird, an dessen Konzept der Jugendstilverein aktiv beteiligt war. Die Präsentation in Bad Nauheim, eine große logistische und finanzielle Herausforderung, wird in hervorragender Zusammenarbeit von Verein, Stadt und Touristeninformation gemeistert und wird,  auch mit Hilfe der regionalen Medien, ein voller Erfolg.

2018 wird im Flur des Badehauses 3 eine kleine Bibliothek und ein Shop mit Jugendstilartikeln eingerichtet, betreut von ehrenamtlichen Mitgliedern.

Eingang Badehaus 3 Jugendstilforum
Eingang Badehaus 3 Jugendstilforum – Foto: Foto: Jugendstilverein Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

We proudly present: Jugendstilforum Bad Nauheim!

2020 kommt, wie überall, durch die Corona-Pandemie alles zum Erliegen. In dieser Zeit wird dem Jugendstilverein der Kontakt zu einem Sammler von Jugendstilobjekten vermittelt. Der Verein erhält die Genehmigung, einen Teil seiner Objekte, wie Fliesen, Gebrauchs- und dekorative Keramik in einem Teil des Badehauses 3 auszustellen. In vielen Monaten wird ein Konzept erarbeitet, um die wertvollen Unikate publikumswirksam zu präsentieren. Darüber hinaus umfasst die Ausstellung auch zwei original erhaltene Badezellen, und setzt damit den Fokus auf die Lebensreformbewegung um 1900 und der Therapie in Bad Nauheim. Der Shop zieht um in die ehemalige Wartehalle, die Bibliothek wird in die Ausstellung integriert, und man hofft, dass dieses Gesamtkonzept unter dem Namen „Jugendstilforum“ mit eigener Website als kulturelle Dauereinrichtung im Badehaus 3 weitergeführt werden kann. Darüber hinaus ermöglicht dies auch eine intensivere Zusammenarbeit mit dem RANN.

Nach der Vernissage am 9. Juli 2021 kann die Ausstellung unter Coronabedingungen besucht werden und wird ein großer Erfolg. Bedingt durch die defekte Heizung muss die Ausstellung im November geschlossen werden. Man bereitet eine zweite Ausstellung vor, die im Mai 2022 eröffnet werden soll. Da dringt im Frühjahr durch Bauarbeiten schadstoffbelasteter Feinstaub in einen großen Teil der Räume, der von einer Spezialfirma beseitigt werden muss und so die Eröffnung der Ausstellung auf unbestimmte Zeit verzögert. Erschwerend kommt bis zum heutigen Tag hinzu, dass der gesamte Sprudelhof restauriert wird und eine Einrüstung und Absperrungen den Weg ins Badehaus 3 für Interessierte nicht einfach macht.

Plakat Stilwende 1900 - Schönheiten einer Epoche - Jugendstilforum Bad Nauheim
Plakat Stilwende 1900 – Schönheiten einer Epoche – Jugendstilforum Bad Nauheim

Hoffnungsvoll in die Zukunft

Erst am 9. September 2022 findet die Vernissage der zweiten Ausstellung statt, und der Verein hofft, dass sie ohne weitere Zwischenfälle bis zum Juni 2023 gezeigt werden kann. Durch all diese Aktivitäten, die auch in der lokalen Presse und im Magazin „coupDefouet“ veröffentlicht werden, will der Verein immer wieder Präsenz zeigen und sieht trotz aller Rückschläge hoffnungsvoll in die Zukunft.

Stand November 2022                                                                       Jugendstilverein Bad Nauheim

www. jugendstilverein.de                                                                          Gisela Christiansen   

www.jugendstilforum.de                                                                                                                                                                            

EDIT Dezember 2022:
Inzwischen ist auch die nächste Ausstellung mit dem Titel “Wege in die Moderne” in Arbeit.
In diesem Winter funktioniert auch die Heizung und trotz so mancher Probleme, die noch vor dem Jugendstilforum und dem Jugendstilverein liegen, merkt man, dass es voran geht.
So hat der Verein u.a. eine Förderung des Hessischen Ministeriums für Digitale Strategie und Entwicklung erhalten, um die Arbeit effizienter und vor allem zukunftsfähig machen zu können.