Der Architekt Wilhelm Jost und der Gedanke der Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist ein Wort, dass heute nahezu jede und jeder im Munde führt und nachhaltiges Handeln wird allerorten angemahnt. Wir halten dies für eine recht neue Erkenntnis, die im Zuge der zunehmenden Klimaveränderungen, dem fortschreitenden Raubbau an der Natur und der Fridays-for-Future-Bewegung erst in das allgemeine Bewusstsein rückte.

Doch Nachhaltigkeit ist ein viel älteres Prinzip, dass vor allem in der Forstwirtschaft schon lange Prämisse war. Heute allerdings wird der Begriff zumeist noch viel weiter gefasst, wie ein Blick auf die Nachhaltigkeits-Definition bei Wikipedia zeigt, wo es heißt:

„Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme (vor allem von Lebewesen und Ökosystemen) gewährleistet werden soll. Im entsprechenden englischen Wort sustainable ist dieses Prinzip wörtlich erkennbar: to sustain im Sinne von aushalten bzw. ertragen. Mit anderen Worten: Die beteiligten Systeme können ein bestimmtes Maß an Ressourcennutzung dauerhaft aushalten, ohne Schaden zu nehmen.“

Nachhaltigkeit: der Erhalt von alten Bäumen auf der Baustelle von Badehaus 3 - Sprudelhof Bad Nauheim
Auch auf der Baustelle von Badehaus 3 sieht man, dass ältere Bäume erhalten wurden
Foto: Landesarchiv Darmstadt R4-26037

Nachhaltigkeit in der Zeit des Jugendstils

Wenn man sich mit der Zeit des Jugendstils beschäftigt, dann ist man erstaunt, dass schon damals – vor über 100 Jahren – Nachhaltigkeit und Naturschutz weit oben auf der Prioritätenliste standen.

In Bad Nauheim hat der Schutz der Natur beim Bau der neuen Badeanlagen, des Sprudelhofs und der Trinkkuranlage eine große Rolle gespielt. Der Architekt Wilhelm Jost sprach von der „Ehrfurcht vor der Natur“, die „etwas Selbstverständliches wurde“.[1]

Gelernt hat er diese Einstellung nach eigenen Angaben vom Ministerialrat Wilbrandt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Pflege der großzügigen Parkanlagen von Bad Nauheim zuständig war. Er nahm Wilhelm Jost regelmäßig mit zu Spaziergängen durch den Kurpark und erklärte ihm viele Dinge. Die Lehre, die Jost daraus zog hieß: „daß in Wald und Park immer nur für die Kinder und Enkel gearbeitet wird“.[2]

Für ihn bedeutete dies beim Neubau des Sprudelhofs auf die Natur Rücksicht zu nehmen und nicht Natur für den Neubau zu opfern. Eine Grundeinstellung, die uns heute schon beinahe merkwürdig fortschrittlich erscheint und man fragt sich: Warum wurde dieser Grundgedanke eigentlich zwischenzeitlich so oft vergessen?

Baumrettung bei den Neubauten des Sprudelhofs in Bad Nauheim - Nachhaltigkeit
Das Bild zeigt die Rettung eines Baumes während der Bauarbeiten
Foto: Landesarchiv Darmstadt R4-44254

Wilhelm Jost und die „Ehrfurcht vor der Natur“

Dass die „Ehrfurcht vor der Natur“ die Handlungsmaxime eines Architekten im beginnenden 20. Jahrhundert gilt, verwundert uns heute schon auf den ersten Blick. Aber es verwundert um so mehr, wenn man bedenkt unter welchem Zeitdruck die Bad Nauheimer Bauten einst entstanden. Ein entsprechendes Kapitel in seinen „Erinnerungen“ überschrieb Jost selbst mit dem Wort „Stress“. Weiter fuhr er fort: „Der Zwang, in der Hauptsache im Winter zu bauen, brachte viel Arbeit und Schwierigkeiten und besonders, wenn es dann im Frühjahr wärmer und trockener wurde, ging ein großes Gehetze los.“[3]

Dennoch wurden Baupläne verändert und vieles andere getan, um die Natur zu schützen. Wilhelm Jost schrieb dazu: „die Stellung der Gebäude wurde, unter Umständen von einem alten schönen Baum bestimmt, oder es wurde ein 50-70-jähriger, ungefähr 9 Meter im Durchmesser haltender Taxus im Winter mit Frostballen auf großen Walzengerüsten von seinem Platz inmitten des zukünftigen Badehauses 50-60 Meter weit verschoben und stand nun mit einem gleichaltrigen Gefährten symmetrisch zu der Achse der Badeanlage links und rechts im Hintergrund der Sprudel. Ich habe sogar Ecken von Gebäuden auf Gewölbe oder Träger gesetzt, die den darunter liegenden Hauptwurzeln eines schönen Baumes Raum zur Entwicklung ließen.“[4]

Gut 110 Jahre nach Wilhelm Jost übernimmt heute schwere Technik das Umpflanzen der Bäume in Bad Nauheim
Foto: PM – Magistrat der Stadt Bad Nauheim
Erstveröffentlichung: Wetterauer Zeitung, Nr. 100, 24.April 2021

110 Jahre Nachhaltigkeit in Bad Nauheim – eine Tradition

Wilhelm Jost hat die Nachhaltigkeit in der Bauzeit des Sprudelhofs vor gut 110 Jahren vorgemacht und noch heute ist dieses Vorbild in der Stadt Bad Nauheim lebendig. Erst vor wenigen Wochen hat man wieder Bäume, die für ein Neubauprojekt weichen mussten, nicht einfach gefällt, sondern umgepflanzt.
Es sind genau 25 Platanen, die bisher auf dem Gelände der neu entstehenden Therme wuchsen. Da sie hier leider nicht stehen bleiben konnten, wurden sie nun in einer großen Aktion umgepflanzt. Ihre neue Heimat finden die Bäume nun auf dem Stoll-Gelände.
Das Fällen dieser Platanen wäre auch wirklich zu schade gewesen, denn immerhin sind sie schon ca. 40 Jahre alt und ausgesprochen gesund. Dank des schweren geräts, das zum Einsatz kam, werden sie nun also das Grundstück der neu entstehenden Gewerbeimmobilie auf dem Stoll-Gelände begrünen.


[1] Wilhelm Jost: Erinnerungen aus meinem Leben, in: Führer durch den Sprudelhof Bad Nauheim, hg. v. Britta Spranger, Mainz 2000, S. 95.
[2] ebd. S. 95.
[3] ebd. S. 88.
[4] ebd. S. 95.


Beitragsbild:
Wilhelm Jost, Porträt im Sprudelhof von Bad Nauheim
Foto: H.A.M. Hölzinger CC-by SA 4.0

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